Globale Messungen widersprechen der Behauptung, dass es keine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs gibt

BEHAUPTUNG
Die langfristigen Datensätze von Tidenmessern stimmen alle darin überein, dass es keine Beschleunigung gibt.
DETAILS
Sachlich ungenau: Die quantitative Analyse von weltweiten Messungen zeigt deutlich, dass sich der Meeresspiegelanstieg beschleunigt hat.
Stellt eine komplexe Realität falsch dar: Diese Behauptung konzentriert sich primär auf individuelle Tidenmessstationen und nicht auf die Auswertung von weltweiten Messungen, wobei versäumt wird, auf die Ursachen regionaler Unterschiede einzugehen.
WICHTIGSTE SCHLUSSFOLGERUNG
Globale Analysen, die sowohl auf Tiden- als auch Satellitenmessungen basieren und von Experten im Peer Review Verfahren begutachtet wurden, zeigen, dass sich der Meeresspiegelanstieg in den letzten Jahrzehnten tatsächlich beschleunigt hat.

BEHAUPTUNG: Die Langzeit-Tidendatensätze stimmen alle darin überein, dass es keine Beschleunigung gibt, weder in der Anfangs- noch in der Endzeit der Aufzeichnungen. Ja, sie schwanken oftmals ein wenig um die Trendlinie, aber es gibt keinerlei Belege für eine CO2-induzierte Beschleunigung der Rate des Meeresspiegel-Anstiegs. Der Satelliten-Datensatz andererseits ist eine Zusammenfügung von vier aus neun verfügbaren Datensätzen des Meeresspiegels. Die Trendänderungen scheinen in Verbindung zu stehen mit den Nahtstellen. Unglücklicherweise ist diese gekittete Aufzeichnung einmal zu kurz und zum Anderen zu unterbrochen, um irgendwelche Erkenntnisse bzgl. Beschleunigung zu gewinnen.

Dieser Artikel auf dem Blog „EIKE“ versucht zu zeigen, dass sich der Meeresspiegelanstieg nicht beschleunigt hat, indem die „zugrunde liegenden Zyklen“ in dem Datensatz entfernt werden, welche fälschlicherweise für Gezeitenzyklen gehalten werden. Der Autor glättet eine Auswahl von Meeresspiegelmessungen individueller Küstenstationen und sucht lediglich nach sichtbaren Beschleunigungen. Dieser Ansatz versäumt es, regionale Unterschiede des Meeresspiegels zu erklären oder die Beschleunigung mit korrekten Berechnungen nachzuweisen. Tatsächlich würde eine richtige, quantitative Analyse von weltweiten Messungen, sogar nach diesem Glättungsprozess, ganz deutlich eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs aufzeigen.

Der Artikel behauptet auch, die auf Satelliten basierenden Meeresspiegelmessungen können nicht die Beschleunigung aufzeigen, weil es Probleme dabei gebe, die Messungen von verschiedenen Satelliten mit überlappenden Missionszeitfenstern miteinander in Einklang zu bringen. Allerdings beschreibt der Artikel keines der Verfahren, die Wissenschaftler benutzen, um die Bias zwischen Instrumenten zu korrigieren und behauptet stattdessen fälschlicherweise, dass Wissenschaftler „einfach ein paar passende Aufzeichnungen obiger Gruppe herausgepickt und sie zusammengeschweißt hätten und das dann eine valide Aufzeichnung passend für alle Zwecke genannt haben.“ In der Realität zeigt eine gründliche Analyse von Satellitenmessungen ebenfalls, dass sich der Meeresspiegelanstieg beschleunigt hat.

 

Feedback von Wissenschaftlern


Thomas Frederikse, Postdoctoral researcher, Jet Propulsion Laboratory/California Institute of Technology:
Es gibt einiges, was in dieser Studie katastrophal schief läuft. Die Idee ist es, eine Variante von der empirischen Modenzerlegung (empirical mode decomposition, EMD) zu benutzen, um die Zyklen aus der Meeresspiegelmessung zu entfernen, damit es möglich wird herauszufinden, ob es eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs gibt. Während EMD und Varianten davon leistungsstarke Werkzeuge sind, gibt es ein großes Problem: Diese Methode misst nicht die Präsenz oder das Fehlen von Beschleunigung. Es ist nur ein Ansatz, um einen Datensatz mit einem Tiefpassfilter zu bearbeiten.

Ein Tiefpassfilter bezeichnet im Prinzip den Vorgang, eine glatte Kurve durch einen verrauschten Datensatz zu zeichnen. Eine Beschleunigung hingegen ist ein gut definiertes Phänomen. Wir sagen, dass es eine Beschleunigung gibt, wenn wir ein Polynom zweiten Grades (eine Parabel) auf die Messungen richten können und wenn der quadratische Koeffizient positiv ist. Es gibt gründliche mathematische Werkzeuge, um die Präsenz oder das Fehlen von einer Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs in Messungen zu bestimmen; diese werden hier natürlich nicht gezeigt.

Der Artikel zeigt nur manche geglättete Meeresspiegelkurven von Tidenmessern und es bleibt dem Leser überlassen, die Präsenz oder das Fehlen einer Beschleunigung zu messen. Das ergibt natürlich keinen Sinn, da wir gute statistische Methoden haben, um dies objektiv zu bestimmen. Auf der Grundlage einer rein visuellen Begutachtung einer Darstellung von Messungen des Meeresspiegels über einen Zeitraum von 27 Jahren, basierend auf Satellitendaten, behauptet der Artikel, dass wir aufgrund der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Zyklen in den Meeresspiegelmessungen, die fälschlicherweise den Gezeiten zugeschrieben werden (siehe Woodsworth et al.1 für mehr Informationen), keine Beschleunigung für den Meeresspiegelanstieg feststellen können. Dies ist eine klassische und falsche Hochrechnung.

Zum einen werden nur wenige und isolierte Tidenmessungen diskutiert. Diese weisen im Zeitraum von einem oder mehreren Jahrzehnten große Unterschiede auf, was vor allem auf Ozeandynamik sowie örtlichen und regionalen Meeresspiegeln beruht. Diese Tatsache macht es deshalb tatsächlich schwierig, eine Beschleunigung in den Aufzeichnungen eines einzelnen Tidenmessers zu finden. In dem Blog werden nur Messungen von europäischen und US-amerikanischen Tidenmessern erwähnt. Diese Tidenmesser befinden sich relativ nah an den Regionen, wo das meiste Schmelzen der Eismassen stattfindet, das die Meeresspiegelveränderungen seit ~1900 beeinflusst hat. Diese Stationen haben aufgrund der Gravitationskraft und des Effekts der festen Erdkruste einen sehr viel geringeren Meeresspiegelanstieg erlebt als das globale Mittel. Ohne diese Gründe explizit zu berücksichtigen und nur auf der Grundlage von Messungen aus Europa und Nordamerika können wir daher keine Aussagen über den globalen Meeresspiegelanstieg treffen. Wenn alle verfügbaren Aufzeichnungen von Tidenmessern kombiniert werden, um den globalen Meeresspiegel zu berechnen, wird eine klare Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs seit 1900 sichtbar.2 In Kombination mit länger zurückreichenden Proxydaten zeigen die Messungen, dass die Anstiegsrate des globalen Meeresspiegels im 20. Jahrhundert höher war als in keinem anderen Jahrhundert während der letzten 3.000 Jahre. Die Anstiegsrate des globalen Meeresspiegels im 21. Jahrhundert ist bereits dreimal höher ist als die des 20. Jahrhunderts.3

chart of global sea level data 1880-2014

Zum anderen gibt es Satellitenmessungen: Im Gegensatz zu den Tidenmessern decken die Satelliten die Ozeane rund um den Globus fast komplett ab (mit Ausnahme von einigen kleinen Gebieten in der Nähe der Pole bedingt durch spezifische Satellitenumlaufbahnen). Aufgrund von Wetter- oder Ozeandynamiken können regionale Meeresspiegel im Zeitraum von Jahrzehnten verschiedene Fluktuationen zeigen, die eine Umverteilung des Meeresspiegels sind, allerdings wird dies auf globaler Ebene wieder ausgeglichen. Gezeiten fügen kein Wasser zu den Ozeanen hinzu und sie entfernen auch kein Wasser aus diesen. Deshalb ist es viel einfacher eine Beschleunigung im globalen Meeresspiegel festzustellen als auf lokaler Ebene. Anhand von Erdgebnissen von in situ Schwimmkörpern und satellitenbasierten Gravitationsbeobachtungen können wir auch genau nachverfolgen, wo das Extrawasser herkommt. Diese Beobachtungen zeigen uns erstaunlich genau an, dass die Beschleunigung des globalen Meeresspiegels durch zwei Aspekte angetrieben wird: Zum einen durch die beschleunigten Verluste von Eismassen in Grönland und der Antarktis und zum anderen durch die beschleunigte thermale Expansion, da die Ozeane fast den gesamten Wärmeüberschuss absorbieren, der durch den Treibhauseffekt eingeschlossen wird (siehe diese Studie4 für mehr Informationen zu all den Daten). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir die Beschleunigung des Meeresspiegels durch Höhenmessung bestimmen können und wir wissen, wodurch es ausgelöst wird.

 

Benjamin Horton, Professor, Earth Observatory of Singapore:
[Dieser Kommentar stammt aus einer früheren Analyse einer ähnlichen Behauptung.]

Es gibt so viele Beweise von Satelliten, Tidenmessern und stratigraphischen Aufzeichnungen, die zeigen, dass der Meeresspiegel ansteigt.5 Beispielsweise habe ich mit meiner eigenen Forschung gezeigt, dass der Anstieg im 20. Jahrhundert im Vergleich zu den letzten drei Jahrtausenden außergewöhnlich und der Anstieg im Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte sogar noch schneller war.3

 

Literaturverzeichnis

Veröffentlicht am: 11 Apr 2020 | Editor:

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